Sommersemester 2020
Fairness und Diskriminierungsfreiheit
aus Sicht von Ethik und Informatik
Veranstaltungstyp: | Seminar |
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Zielgruppe: | Master Informatik: Seminar (S) oder Schlüsselqualifikation (SQ) Master EUKLID |
Umfang: | 2 SWS / 3 ECTS |
Termine: | 20.04.2020, 14.00 – 15.30 Uhr in |
Veranstaltungsnr.: | 5012016 |
Lehrstühle: | Anwendungsorientierte Formale Verifikation Kryptographie und Sicherheit Praktische Philosophie |
Lehrkräfte: |
Prof. Dr. Bernhard Beckert |
ILIAS-Kurs: | Link |
Anmeldung: | Bei Fragen zum Seminar oder zur Anmeldung wenden Sie sich bitte an
Michael Kirsten. Bitte treten Sie außerdem dem ILIAS-Kurs zur Veranstaltung bei. |
Platzvergabe: | Reihenfolge nach Eingang der Anmeldung |
Hintergrund
Wenn Sie in ein Geschäft oder eine Behörde gehen und ein dortiger Angestellter sich allein aufgrund Ihrer Nationalität, Ihres Geschlechts oder Ihres ethnischen Hintergrundes weigert, Sie zu bedienen, so sind Sie Opfer einer widerrechtlichen Diskriminierung geworden.
Aber was, wenn eine Bank oder eine Behörde aufgrund eines – oberflächlich betrachtet – diskriminierungsfreien Algorithmus‘ entscheidet und sich bei genauerer Prüfung herausstellt, dass die Negativentscheidungen einen überproportionalen Anteil von Leuten betreffen, die – genau wie Sie – bestimmte geschützte Merkmale (protected characteristics) tragen?
Solche Fälle sind oftmals nicht einfach zu beurteilen.
Eine Prognosesoftware für die Rückfallwahrscheinlichkeit von Straftätern (PRS) hat in den USA deutlich mehr falsche Positive für black defendants und deutlich mehr falsche Negative für white defendants produziert. Ob dies einen Fall von widerrechtlicher oder moralisch falscher Diskriminierung darstellt, wurde in der Fachliteratur kontrovers erörtert. So ist argumentiert worden, dass unterschiedliche einschlägige und plausible Standards für Fairness inkompatibel sind. Wie lässt sich in solchen Fällen ohne Willkür entscheiden, ob eine Prozedur diskriminierend ist oder nicht?
Themenbereich
Mit Fragen wie diesen möchten wir uns in dem Seminar aus Sicht von Ethik und Informatik beschäftigen. Unter „Ethik“ verstehen wir die systematische Analyse sowie argumentative Begründung oder Zurückweisung von präskriptiven Sätzen und wertenden Ausdrücken. Beispiele für Ausdrücke, die im allgemeinen Sprachgebrauch eine Negativwertung vermitteln, sind „Gutmensch“, „menschenverachtend“, „Diskriminierung“. Beispiel für einen präskriptiven Satz ist: „Die Software Y ist diskriminierend gegenüber X-Men und muss daher verboten werden!“
In der Ethik-Debatte über den Begriff Diskriminierung geht es um Fragen wie: Unter welchen Bedingungen stellt eine ungleiche Behandlung verschiedener Leute Diskriminierung dar? Ist es beispielsweise diskriminierend, wenn eine Lungenklinik grundsätzlich keine Raucherinnen und Raucher anstellt oder wenn Leute, die als weniger hübsch empfunden werden, weniger verdienen als Leute, die als hübscher gelten (Lippert-Rasmussen 2015, 207)? Lässt sich von Diskriminierung sprechen, ohne dass jemand die Absicht hat oder hatte, Leute aufgrund geschützter Merkmale zu benachteiligen? Ist Diskriminierung immer ungerecht; ist Diskriminierung per Definition moralisch falsch? Ist es Diskriminierung, wenn eine Person eine bestimmte Art von Leuten (aufgrund von unprotected properties) nicht leiden kann und deshalb nicht mit Leuten von dieser Art kooperiert? Welche Formen von Diskriminierung sind zu unterscheiden und aufgrund welcher Eigenschaften sind sie pro tanto falsch?
Kann ein Algorithmus überhaupt gegen die Diskriminierungsfreiheit verstoßen? Wann ist eine algorithmische Entscheidung unfair oder fair bzw. diskriminierend oder nicht-diskriminierend? Kann ein sinnvoller Algorithmus überhaupt nicht-diskriminierend sein? Wie entstehen unfaire Vorurteile bei Algorithmen und wie kann man sie entfernen oder abschwächen? Wie sind solche Entscheidungen gesellschaftlich zu bewerten? Unter welchen Bedingungen stellt eine ungleiche Behandlung verschiedener Leute Diskriminierung dar?
Solche und verwandte Fragestellungen möchten wir hier vertieft behandeln und dabei Studierenden ermöglichen, über den Rand der Disziplin Informatik hinaus zu blicken und Themen am Schnittpunkt der Bereiche der theoretischen Informatik sowie der praktischen Philosophie auf reale (informatisch-) gesellschaftliche Probleme anzuwenden. Das Seminar wird interdisziplinär veranstaltet und richtet sich vorrangig an Studierende der Informatik mit Interesse an der Verbindung philosophisch-ethischer und formal-logischer sowie kryptographischer Fragestellungen mit Anwendung auf das praktische Problem der Diskriminierung durch maschinell-gelernte Entscheidungsverfahren.
Ablauf
Wir bitten um frühzeitige Anmeldung. Die Themenvergabe erfolgt in der ersten Woche nach Reihenfolge der eingegangenen Anmeldungen.
Das Seminar findet an vier Blockterminen in der zweiten Vorlesungshälfte statt. Zu Beginn der Vorlesungszeit findet außerdem ein Kick-Off-Treffen (erste Vorlesungswoche) statt. Im ersten Blocktermin findet ein Mid-Term-Treffen inklusive kurzer Vorstellungen der individuellen Seminarthemen statt, zusätzlich diskutieren wir hier gemeinsam einen einführende Text zum Themenbereich des Seminar. Die übrigen Termine bestehen aus ausführlichen Präsentationen und Diskussionen der individuellen Seminarthemen.
Aufgabenstellung
Für das Seminar werden von allen Teilnehmenden für eine erfolgreiche Teilnahme folgende Leistungen erwartet:
- Lesen und Verstehen des gemeinsam zu diskutierenden einührenden Textes sowie Beteiligung an der zugehörigen Diskussion.
- Selbstständiges Erarbeiten der Inhalte des gewählten Themas auf Basis einer Auswahl von Einstiegspapieren. In regelmäßigen Treffen mit einem/r betreuenden wissenschaftlichen Mitarbeiter/in erhalten Sie hierbei die nötige Unterstützung.
- Auswahl und Gliederung der Inhalte, die in Ihrem Seminarvortrag präsentiert werden sollen.
- Kurze Vorstellung Ihrer Gliederung im Plenum.
- Entscheidung, wie Sie die Inhalte präsentieren wollen.
- Erstellung der Folien für Ihren Seminarvortrag und gegebenenfalls weiterer Materialien.
- Dreißminütiger Seminarvortrag im Plenum gefolgt von einer etwa fünfzehnminütigen Diskussion.
- Nach dem Vortrag: Verfassen einer etwa zehnseitigen Ausarbeitung, die die wesentlichen Inhalte Ihres Vortrags zusammenfassend darstellt.
Folien und Materialien
Themenliste
# | Thema | Betreuung | Studiengang |
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1. | Preference-Informed Fairness | Prof. Beckert | INFORMATIK |
2. | Fairness is Not Static: Long Term Fairness | Prof. Beckert | INFORMATIK |
3. | Quantifying and Comparing Algorithmic Unfairness | Michael Kirsten | INFORMATIK |
4. | Concepts and Frameworks: The Algorithmic Social Contract | Jonas Schiffl | INFORMATIK |
5. | Fair Machine Learning in Industry | Jonas Schiffl | INFORMATIK |
6. | Fairness Under Composition | Alexander Koch | INFORMATIK |